"Beziehungskonflikte seien heiße Konflikte, weil sie emotional seien", meint Ole. "Und die Sachkonflikte sind die Kalten. Klar. Weil sie sachlich ausgetragen werden“, ergänzt Mathilda. Mit einem: "mmh", mische ich mich ein, „Wenn das so einfach wäre. Ein Konflikt hat viele Facetten und ist sehr komplex. Das Gute an der Nachricht: Genauso viele Chancen bietet er, das Beste daraus zu machen.
Eins nach dem anderen. Parallel zur Temperatur lassen sich die Konflikte grob in Sach- oder Beziehungskonflikten unterteilen. Zu den Sachkonflikten zählen Wahrheitskonflikte, Bewertungskonflikte, Zielkonflikte oder Verteilungskonflikte. Zu den Beziehungskonflikten gehören z.B. Selbstbild-verletzende Du-Botschaften, Ringen um die Beziehungsdefinition, Machtkämpfe, Vertrauenskrisen oder Rollenkonflikte. Dabei können es reine Sach- oder Beziehungskonflikte sein oder auch Mischkonflikte. Und ob der Sach-, Beziehungs- oder Mischkonfklikt emotional oder sachlich-rational ausgetragen wird, hängt lediglich von der Identifizierung mit dem Thema ab oder mit dem persönlichen Wertesystem zusammen. Je mehr man sich mit dem Inhalt identifiziert, desto emotionaler agiert bzw. reagiert man. Nun zur Themperatur. Ob emotional oder sachlich, "heiß" bedeutet in diesem Zusammenhang lediglich „heftige Begeisterungsstimmung - mit einem Handlungsüberangebot“. Dem Handlungsüberangebot steht im "kalten" Konflikt etwas völlig anderes gegenüber: Es kommt schlechthin zum Erliegen der Kommunikation. Ein Konflikt bietet ein Portfolio, dass den Rahmen eines Artikels sprengen würde. Heute widme ich mich deshalb nur seiner Temperatur.
Heiße Konflikten zeichnen sich durch eine starke Führerzentrierung aus. Die Parteien sind von der Reinheit und Heiligkeit ihrer eigenen Motive so überzeugt, dass sie gar nicht mehr aufhören darüber zu reden. Es geht darum, die Gegenseite zu einem gläubigen Anhänger der eigenen Ideale zu machen. Konfrontierend. In der wenigen verfügbaren Zeit möchte jede Partei die Gegenseite bis weit über das Erträgliche hinaus in die Diskussion ziehen. Die Schaffung einer Gesprächsstruktur die wirkliches Zuhören fordert und fördert wäre produktiv. Nur sind die Parteien in dieser Verfassung selber kaum in der Lage dazu. Ein allparteilicher Mediator kann die Verantwortung für die Gesprächsstruktur übernehmen. So kann ein Konflikt sogar produktiv sein. Und lässt deshalb das Beste aus sich gewinnen.
Kalte Konflikte sind weniger augenscheinlich. Ihre Wirkung ist allerdings genauso destruktiv wie die heißen. Wenn nicht sogar noch destruktiver. Anstelle des Feuers der Begeisterung erlebt man bei den Kontrahenten tief verwurzelte Enttäuschungen. Es hat sich eine Stimmung verbreitet, in der man Ideale ‚eigentlich’ über Bord geworfen hat, weil sie illusorisch scheinen: die Kontrahenten sind desillusioniert und frustriert. Sie erachten die unangenehme Situation als ausweg- und chancenlos. So entsteht Resignation. Die Konfliktparteien erleben sich selbst als ein reaktives Produkt ihrer als feindselig erlebten Umgebung. Diese Wahrnehmung ist deren neue Wirklichkeit. Und jeder von ihnen hat nun seine ganz persönlich geschaffene Wirklichkeit, die er für sich behält. Weil man sich selbst jegliche Initiative genommen hat, wird man völlig von außen bestimmt. Es entsteht ein Teufelskreis. Nach und nach bildet sich zwischen den Parteien ein „soziales Niemandsland“. Die Konfliktparteien achten sehr darauf, dass keiner dieses Niemandsland betritt. Im Gegensatz zur Führerzentrierung in den heißen Konflikten zeigt sich in den kalten Konflikten ein Führungsvakuum.
Im kalten Konflikt erfordert es viel Knowhow, die Konfliktparteien zur Anerkennung des Konfliktes zu bewegen. Sie sehen keine Lösungschance und eine Auseinandersetzung scheint ihnen sinnlos. Solange daher die Existenz des Konfliktes offiziell geleugnet wird, kann er auch nicht bearbeitet werden. Es ist frappant zu sehen, dass die Parteien bei aller Uneinigkeit, offensichtlich einen ungeschriebenen Vertrag abgeschlossen haben, nämlich den der Konfliktleugnung. Für die Bearbeitung ist es notwendig, den kalten Konflikt wieder „aufzutauen“ und in seine heiße Form überzuführen. Dadurch wird er für alle Konfliktparteien wieder deutlich und unleugbar. Kultiviert. Mit entsprechender Kommunikations-Struktur durch Interventionen seitens des Mediators.
Was nicht zu vernachlässigen ist. Tendenziell haben Beziehungskonflikte mehr als Sachkonflikte, heiß wie kalt ausgetragen, das Potenzial auf einer höheren Eskalationsstufe ausgetragen zu werden. Eine Ignorierung aller Konflikte kann fatale Folgen haben. Denn jeder Konflikt trägt eine gewisse Eigendynamik in sich, die ihn von Stufe zu Stufe der Eskalation schreiten lässt, sofern keine deeskalierenden Maßnahmen getroffen werden. Behandeln sie ihn. Klärung, kultiviert und professionell bringt Entspannung. Sonst bleibt es spannend. Nicht nur für die Bombenleger selber.
Vgl. Glasl (1994), S. 70ff, Herbek (2010), S. 277ff